Skateboard-Sonnenblume

Da kommt sie erneut angeschossen. In einem Höllentempo rast die Sonnenblume im Topf auf ihrem Skateboard die steile Teerstrasse hinab ins Dorf. Links und rechts Felder voller ihresgleichen, die für einen Moment ihr Gesicht von der Sonne abwenden und der Skaterin nachstarren. Sie, mit Wurzeln im Boden verankert, rufen nur ein "Huch!" aus, als der Fahrtwind ihre vor Neid leicht grünen Blütenblätter zum Zittern bringt.
Das geht jeden Tag so. Am Morgen und am Abend. Dann wartet die Topf-Sonnenblume jeweils unten im Dorf auf den Bauern. Der kommt immer pünktlich. Vor seinen Karren hat er sein altes Pferd gespannt, das geduldig die vollen Milchkannen ins Dorf und danach leer wieder den Hang hochbringt. Der Bauer duldet die Blume, auf seinem Karren hat er immer einen Platz für sie und ihr Skateboard. Und so kommt sie zweimal am Tag in den Genuss einer rasanten Talfahrt.
Es wird getuschelt im Sonnenblumenfeld. Man gönnt der Blume, die sich frei mit ihrem Topf bewegen kann, diese Fahrten nicht. Man nimmt es ihr übel, dass sie jeweils kreischt vor Freude.
Der dicke Hund vom Bauern wird zu Rate gezogen. Er ist es auch, der die Idee mit der Schnur hat.
Und dann, eines Tages, warten alle aufgeregt, bis die Topf-Sonnenblume oben auf dem Hügel angekommen ist. Rasch spannt der dicke Hund die Schnur über die Strasse und befestigt sie stramm an zwei Holzpfählen.
Da! Da kommt sie schon angebrettert. Und es kommt so, wie es kommen muss: In voller Fahrt rast sie in die Schnur, es wirft sie vom Skateboard, sie stürzt, überschlägt sich einige Male und bleibt bewusstlos liegen.
Man hat lange nichts mehr von der Sonnenblume im Topf gehört. Doch an einem sonnigen Tag hören die Blumen auf dem Feld einen lauten Schrei: "Woohoo!", ruft die Topfblume, als sie im Rollstuhl sitzend, mit Gips um ihren Stiel, die Strasse hinuntergesaust kommt. Sie rast an den Feldern vorbei, wobei sie ihre Blätter links und rechts ausstreckt und allen den Stinkefinger zeigt.
"Woohoo!", tönt es noch lange, bis die Sonnenblume im Topf unten im Dorf verschwindet.
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